architekten-portrait. Zur Startseite

 

. . . Friedrich Ostermeyer. 1884 - 1963

Porträt Hans Bernhard Reichow

Geboren am 25.11.1899 in Roggow

1919 - 23 Studium an der TH Danzig und München
1927 Gründung des eigenen Architekturbüros in Berlin
1928 - 34
Stadtplaner in Dresden
1934 - 36 Stadtbaurat in Braunschweig
1939 - 45 Baudirektor in Stettin
1945 Übersiedlung nach Hamburg

Gestorben am 7.5.1974 in Bad Mergentheim

 

 


Hans Bernhard Reichow wird im pommerschen Roggow geboren. Nach seiner Einberufung zum Militärdienst und dem Kriegseinsatz in der Endphase des 1. Weltkriegs beginnt er 1919 ein Architekturstudium in München, das er vier Jahre später in Danzig abschließt. Dort bleibt er als Assistent am Institut für Städtebau und promoviert mit einer Arbeit über "Alte bürgerliche Gartenkunst in Danzig". 1925 geht er nach Berlin und arbeitet in der Preußischen Bau- und Finanzdirektion und der Versuchsanstalt für Wasser- und Schiffbau sowie 1926 bei Erich Mendelsohn, der im Berlin der zwanziger Jahre zu den wichtigsten Architekten der im Durchbruch befindlichen Moderne zählt. Bei Mendelsohn kommt Reichow mit den Tendenzen einer organisch geformten Architektur in Kontakt, die fortan auch seine eigenen Entwürfe prägt. Nach Wettbewerbserfolgen gründet Reichow 1927 ein eigenes Architekturbüro und kann einige Einfamilien- und Reihenwohnhäuser realisieren, die sich durch dynamische Gestaltungselemente wie Rundungen oder schräge Bauglieder auszeichnen.

Nach nur einem Jahr nimmt Reichow eine Stelle als Stadtplaner in Dresden an. Seine freiberufliche Tätigkeit kann er jedoch nebenher weiter ausüben und nimmt auch an in-ternational ausgeschriebenen städtebaulichen Wettbewerben teil. Da er in Dresden nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zunehmend Anfeindungen wegen seiner modernen Architektur ausgesetzt ist, geht Reichow 1934 als Stadtbaurat nach Braunschweig. Dort ist er hauptsächlich mit dem Entwurf kommunaler Hochbauten beschäftigt, aber auch an der Planung neuer Wohnsiedlungs- und Grünanlagen wie dem Westpark oder der Gartenstadt Lehndorf ist Reichow beteiligt. Auch in Braunschweig kommt es zu Differenzen aufgrund von Reichows Architekturauffassungen. Nach einer Versetzung ins Baupolizeiamt bewirbt er sich auf neue Stellen und wird 1936 als Leiter des Hochbauamtes von Stettin berufen. Um seine Karriere im öffentlichen Hochbauwesen fortsetzen zu können, tritt Reichow 1937 der NSDAP bei und wird schließlich 1939 zum Baudirektor von Stettin befördert.

Wie bereits in Braunschweig, ist Reichow in Stettin für den Entwurf öffentlicher Hochbauten zuständig. Bereits zu Beginn seiner Tätigkeit im Hochbauamt erstellt er ein neues städtebauliches Konzept für Stettin, das aufgrund von Eingemeindungen notwendig wird. Um den Dammschen See herum entwickelt er den Plan einer Stadtlandschaft, die durch in sich zentrierte Siedlungszellen gegliedert ist. Zentrale Elemente dieser Planung sind eine Durchgrünung der Stadtlandschaft sowie die Einbeziehung landschaftlicher Besonderheiten. Durch die Publikation dieses Konzepts wird 1940 der Architekt Konstanty Gutschow, der mit der Neugestaltung Hamburgs beauftragt ist, auf Reichow aufmerksam. Von Gutschow wird er als Gutachter für die städtebaulichen Planungen für Hamburg hinzugezogen. Gemeinsam entwickeln sie dort das Konzept einer stadträumlichen Gliederung in einzelne Siedlungszellen fort, für deren Größenbemessung die NS-Ortsgruppe zugrunde gelegt wird. Reichow entwirft für Hamburg das Ideal einer Stadtlandschaft entlang der Unterelbe, abgekoppelt von vorhandenen, historisch gewachsenen Stadtstrukturen. Mit einer konsequenten Funktionsentmischung und der Trennung der Verkehrswege entspricht dieses Konzept den Forderungen der Charta von Athen und wird zu einem Prototyp für den Städtebau der Nachkriegszeit.

Bei Kriegsende flüchtet Reichow vor der vorrückenden Roten Armee aus Stettin nach Hamburg, wo er zunächst bei Gutschow unterkommt und wieder ein eigenes Architekturbüro eröffnet. Die städtebaulichen Konzepte, die er während des 2. Weltkriegs für Stettin und Hamburg ausformuliert hat, veröffentlicht Reichow 1948 in dem Buch "Organische Stadtbaukunst", ein Jahr später gefolgt von der Publikation "Organische Baukunst". Mit der Propagierung eines durchgrünten Stadtraums, der Berücksichtigung der örtlichen Topographie und der Ordnung der Verkehrsstrukturen nach dem Vorbild natürlicher Verästelungssysteme wird das Buch zu einem wichtigen theoretischen Fundament des beginnenden Wiederaufbaus. Insbesondere dem Thema des Verkehrs widmet Reichow seine Aufmerksamkeit und fordert für die Autostraßen eine Reduktion von Knotenpunkten bei, deren Gestaltung nach instinktiven Bewegungsabläufen sowie die Trennung von Fuß- und Fahrwegen. Diese Erkenntnisse veröffentlicht er auch 1959 in dem Buch "Die autogerechte Stadt", dessen Titel zu einem Inbegriff der WiederaufbauEpoche wird. So kann Reichow den Städtebau der Nachkriegszeit in West-Deutschland mit seinen Thesen, die er in Büchern, Zeitschriftenartikeln und Vorträgen verbreitet, in wesentlichem Maße prägen.

Nach der Wiederbelebung der Neubautätigkeit durch die Währungsreform 1948 kann Reichow seine städtebaulichen Konzepte auch in zahlreichen Wohnsiedlungen exemplarisch umsetzen, bei denen er von der städtebaulichen Struktur bis hin zur architektonischen Durchbildung der Gebäude federführend tätig ist. Durch eine Abkehr vom Prinzip des schematischen Zeilenbaus und die Durchbildung der Wohnungsgrundrisse gemäß des Sonnenstandes gelingt es ihm, die Ideale des Neuen Bauens der Weimarer Republik nach Licht, Luft und Sonne für die Nachkriegszeit zu transformieren. Als größtes und wichtigstes Projekt kann Reichow ab 1954 die Sennestadt in Bielefeld realisieren, wo er die topographische Lage an einem See zur Planung des Rathauses für das gemeinschaftsbildende Element einer "Stadtkrone" nutzt. Seine plastisch geformten Hochbauten korrespondieren dabei mit der organisch der Landschaft angepaßten Stadtplanung. In dem kreuzungsarmen Erschließungssystem mit Stich- und Sammelstraßen sowie voneinander separierten Fuß- und Fahrwegen überträgt er organische Wachstumsgesetze auf die Stadtstruktur, wobei dem Verkehr die analoge Funktion natürlicher Kreislauforgane zukommt, wie Reichow es in seinen Theorien zu einer organischen Stadtbaukunst formuliert hat.

Im Alter von 74 Jahren stirbt Hans Bernhard Reichow in Bad Mergentheim. Als Apologet eines aufgelockerten, durchgrünten und autogerechten Städtebaus gehört er neben Johannes Göderitz, Werner Hebebrand oder Rudolf Hillebrecht zu den wichtigsten Vertretern und Förderern dieser Diszplin im Nachkriegsdeutschland. Ohne bestimmten formalen, romantisch begründeten Motiven zu folgen, sind Reichows städtebauliche Theorien durch rationalistische, sinnfällige Kriterien begründet. Mit diesem Anspruch der wissenschaftlichen Objektivierbarkeit ist Reichow ein charakteristisches Beispiel seiner Architektengeneration.


April 2005

Literatur:

Sabine Brinitzer: Hans Bernhard Reichow (1899-1974). Eine "organische" Architekturgeschichte
In: DAM: Jahrbuch für Architektur 1991, S. 270-277

Sabine Brinitzer: Ein Stadtplaner als Villenarchitekt
In: Bauwelt 48/1994, S. 2656-2658

Sabine Brinitzer: Der Stadtplaner Hans Bernhard Reichow wurde vor hundert Jahren geboren
In: DBZ 11/1999, S. 30

Hans Bernhard Reichow: Stadtplanen und Bauen durch fünf Jahrzehnte
Hamburg 1969

Haus Gresens. Podejuch 1928-29
. .Haus Gresens
. .Podejuch 1928-29
Reihenhaussiedlung. Belgard 1928-29
. .Reihenhaussiedlung
. .Belgard 1928-29
Bekleidungsamt. Braunschweig 1934-35
. .Bekleidungsamt
. .Braunschweig 1934-35
HJ-Gebietsführerschule. Braunschweig 1936-37
. .HJ-Gebietsführerschule
. .Braunschweig 1936-37
Altersheim Johannistal. Stettin 1938-39
. .Altersheim Johannistal
. .Stettin 1938-39
Haus Reichow. Hamburg 1946-47
. .Haus Reichow
. .Hamburg 1946-47
ECA-Wohnsiedlung. Lübeck 1951-52
. .ECA-Wohnsiedlung
. .Lübeck 1951-52
Wohnsiedlung Hohnerkamp. Hamburg 1953-54
. .Wohnsiedlung Hohnerkamp
. .Hamburg 1953-54
Wohnhochhaus Sennestadt. Bielefeld 1960-61
. .Wohnhochhaus Sennestadt
. .Bielefeld 1960-61
Schule Ossietzkystraße. Nürnberg 1965-68
. .Schule Ossietzkystraße
. .Nürnberg 1965-68